Google veröffentlicht unter dem Titel Google Trends laufend die aktuell häufigsten Suchanfragen. Für vergangene Jahre gibt es eine Zusammenfassung. Google listet die Top10 Suchanfragen in 9 Kategorien. 2021 liegt in der Kategorie „Was-Fragen“ hinter „Was kostet ein PCR-Test?“ die Frage nach dem Kuba Syndrom. Was ist das Kuba Syndrom? Warum hat das 2021 so viele Menschen interessiert?
Google Trends 2021
Tatsächlich sind die Suchbegriffe, die Google akribisch mitschreibt, ein guter Indikator dafür, was die Menschen bewegt. In Deutschland waren das eben PCR-Tests und das Kuba Syndrom. Während sich das Interesse an den Kosten des PCR-Tests ab Ende April, mit einigen Spitzen vor allem zum Jahresende hin, über das ganze Jahr verteilt, hat das Kuba Syndrom alle Anfragen innerhalb von zwei Wochen verzeichnet. Zwischen 14. und 20. Februar war plötzlich massives Interesse festzustellen. Davor und danach wollte keiner wissen, was hinter dem Begriff steckt. Was war die Ursache?
Matthias Schrappe
Schuld an dem Google Trend, der in einer Woche mehr Suchanfragen generierte, als „Was ist Clubhouse“ im ganzen Jahr, ist ein deutscher Mediziner. Prof. Dr. med. Matthias Schrappe ist Internist aus Hamburg und hat an einigen Universitäten unterrichtet. Unter anderem hat er auch Risikomanagement gelehrt. Ein Detail, das weiter unten noch wichtig sein wird. Schrappe wurde als Kritiker der medizinischen Versorgung während der Coronapandemie bekannt. Er kritisierte zusammen mit Kollegen die Krankenhäuser und unterstellte, dass Intensivkapazitäten zu hoch angesetzt wurden, um zusätzliche Gelder zu erhalten. Als Kopf eines Autorenteams, bestehend aus 11 Personen, verfasst er Thesenpapiere, die auf seiner Website eingesehen werden können.
Havana Syndrom
Sucht man nach dem Kuba Syndrom, stößt man rasch auf das sogenannte Havana Syndrom. Das Havana Syndrom beschreibt rätselhafte Beschwerden, die US-amerikanische Diplomaten nach ihrem Dienst in der Botschaft in Kuba erlebten. Kopfschmerzen und Übelkeit, ohne einen Hinweis auf eine Ursache, führten rasch dazu, dass eine Geheimdienstoperation vermutet wurde. Die US-Behörden vermuteten eine neuartige Mikrowellen-Waffe, die die amerikanischen Botschaftsmitarbeiter erkranken ließ. Logischerweise weit Kuba diese Behauptungen zurück. Mehr noch, kubanische Wissenschaftler haben die Theorie für physikalisch unmöglich erklärt. Nachdem auch in anderen Ländern ähnliche Fälle aufgetreten sind, haben sich die Behörden auf eine andere Bezeichnung geeinigt. Statt Kuba Syndrom, oder Havana Syndrom werden die Vorfälle als UHI, als unexplained health incidents, also ungeklärte Gesundheitsvorfälle bezeichnet.
Risikoforschung
Sucht man etwas weiter, stößt man schließlich auf die Risikoforschung. Auch hier gibt es ein Kuba Syndrom. Irvin Lester Janis, der 1990 verstorbene US-amerikanische Sozial- und Forschungspsychologe, prägte den Begriff, nachdem er die Entscheidungsprozesse rund um die amerikanische Invasion in Kuba analysiert hatte. Die 1.300 Exilkubaner landeten am 17. April 1961 in der Schweinebucht und hatten das Ziel, Fidel Castro zu stürzen. Stattdessen wurden innerhalb von nur 3 Tagen 1.100 von Ihnen gefangen genommen und 90 fielen bei der unüberlegten Militäroperation. Janis attestierte dem Team um Präsident John F. Kennedy Interaktions- und Kommunikationsverhalten, das er als Groupthink bezeichnete. Neben der Invasion in der Schweinebucht nahm Janis auch Pearl Harbor, den Vietnam- und den Koreak-Krieg unter die Lupe. Allen vier Ereignissen lagen politische Fehlentscheidungen zugrunde, die Janis auf Groupthink zurückführte.
Groupthink
Das Phanömen, das Janis als Groupthink bezeichnete und das später als Kuba Syndrom bekannt wurde, beschreibt ein gleichförmiges Denkmuster innerhalb einer Gruppe. Kennedy und die anderen US-Präsidenten hatten sich zur Entscheidungsfindung mit Beratern umgeben, die alle derselben Meinung waren. Die Gruppe dachte also gleichförmig und war sich bei der Entscheidung einig. Abweichende Meinungen wurden bei den Fehlentscheidungen völlig außer Acht gelassen. Das Kuba Syndrom bezeichnet also eine Situation, in der ein Entscheidungsträger sich mit einem Beraterstab umgibt, bzw. von einem Beraterstab beraten wird, der eine einheitliche Meinung hat. Es gibt keine Diskussion, sondern alle sind sich hinsichtlich der Lösung absolut einig. Damit wäre also die Bedeutung geklärt. Was offen bleibt ist die Frage, warum das Kuba Syndrom um den 20. Februar 2021 so viele Suchanfragen erhielt, wie viele andere Suchbegriffe nicht einmal im ganzen Jahr.
Kuba Syndrom
Verursacher ist Prof. Dr. Schrappe. Er gab im Februar 2021 ein Interview, das im Focus veröffentlicht wurde. Im Rahmen dieses Interviews behauptete er, dass Angela Merkel unter dem Kuba Syndrom leide und es daher zu falschen Entscheidungen in der Coronapolitik komme. Einerseits aufgrund der Tatsache, dass der Begriff wenig geläufig ist und andererseits aufgrund einiger Vorfälle, bei denen Angela Merkel ein starkes Zittern zeigte und viel über ihren Gesundheitszustand spekuliert wurde, waren wohl ausgesprochen viele Menschen daran interessiert, woran die Kanzlerin litt. Dass der Mediziner damit aber keine Diagnose stellte, sondern lediglich Entscheidungen und den Beraterstab kritisierte, war wohl unerwartet. Auch der Titel des Focus Story ließ eine Krankheit namens Kuba Syndrom vermuten. Offensichtlich haben viele Menschen lediglich die Überschrift gelesen und sich danach entsprechend online informiert. Prof. Dr. Schrappe kann man an dieser Stelle nur zu seiner beeindruckenden Reichweite gratulieren. Es ist nicht leicht, es in die Google Trends für ein ganzes Jahr zu schaffen!